Übergabe des Hutes |
Eigentlich wollte ich heute über etwas ganz anderes schreiben. Darüber z.B., dass wir seit letztem Sonnabend einen neuen Vorstand haben.
Erik Eliche ist jetzt Vorsitzender, der falsche Prophet Stellvertreter und Tini Tortelini ist Schatzmeister.
Oder darüber, wie fleißig wir in Templin immer unsere Nudelmessenhinweisschilder putzen und als Dank an die Stadt gleich deren Städtepartnerschaftsschilder mit.
Aber dann kam die Anfrage, ob ich nicht meine Ketzertagspredigt veröffentlichen könnte.
Bitte schön, hier ist sie:
Ihr seid es gewohnt, dass ich in meinen Predigten immer Themen des Tages aufgreife. Heute gibt es eine eher persönliche, denn das wird meine letzte Predigt als Vorsitzender unserer Kirche sein.
Nach 12 Jahren an der Spitze des Vereins war ein Generationenwechsel überfällig geworfen. Wir haben schon eine Weile darauf hin gearbeitet, und konnten nun Kandidaten für einen komplett neuen Vorstand nominieren.
Ein solcher Moment ist die Gelegenheit, um Rückschau zu halten. Die fällt ganz kurz aus: es ging ständig bergauf. Man braucht nicht mehr erklären, wer wir sind. Als Teil der säkularen Gemeinschaft sind wir Mitglied im Förderkreis der gbs, hatten mehrere Veranstaltungen mit dem Bund für Geistesfreiheit und haben auch schon beim Jahrestreffen des IBKA eine Nudelmesse gehalten.
Unsere Aktionen mit den Nudelmessenhinweisschildern haben uns weltweit bekannt gemacht und sogar auf den Atlas der 11000 ungewöhnlichsten Sehenswürdigkeiten der Welt gebracht.
Da kann man schon zufrieden sein.
Ein solcher Moment ist aber auch Gelegenheit, um allen zu danken, die das ermöglicht haben. Ich habe in den Jahren viele tolle Menschen kennen gelernt und mit einigen sogar Freundschaft geschlossen. Nennen möchte ich niemand, einfach aus Angst, jemand zu vergessen.
Nur eine Ausnahme möchte ich machen: Elli Spirelli.
Insider wissen schon lange, wie wichtig sie für unsere Kirche ist. Vieles geht auf sie zurück. Sie hat das Nudelholz als Gebetsholz erfunden, das Zeremonienschwert kreiert, den Monstergruß geschaffen und vieles mehr. Sie hat mich angestupst, wenn ich mal nicht so richtig in die Spur kam, kurz, ohne sie würde der Verein anders aussehen.
Ein solcher Moment ist aber auch eine Gelegenheit, um Fehler offen einzugestehen. Hier meine drei größten:
1. Spiritualität gibt es nicht
Einer meiner ganz großen Irrtümer. Das habe ich erkannt, als ich festgestellte, nicht nur Abergläubige, sondern auch Humanisten sind neuerdings sicher, die zu haben. Da gingen mir die Augen auf. Wenn so entgegengesetzte Positionen meinen, sich in einem Punkt zu treffen, dann muss es wirklich etwas Gemeinsames geben. Wenn es etwas Gemeinsames gibt, muss es das natürlich auch wirklich geben, keine Frage. Ich habe auch herausgefunden, was diese Gemeinsamkeit ist: die Beliebigkeit. Spiritualität ist ein Schwurbelbegriff, in den jeder einfach packen kann, was er möchte. Was so beliebig ist, existiert auch irgendwie.
Aber wo kommt diese Spiritualität her? Nicht wenige behaupten, die sei angeboren. Deshalb käme sie auch bei Atheisten vor.
Da könnte was dran sein. Allerdings reden Westatheisten ganz deutlich mehr davon, als Ostatheisten. Westatheisten waren in der Regel wenigstens als Kind abergläubisch. Auf jeden Fall sind sie in einer abergläubischen Umwelt aufgewachsen. Könnte man da nicht auch vermuten, Spiritualität wäre einfach anerzogen?
Die ARD ließ für ihre „Themenwoche Glauben“, in der unsere Kirche übrigens mit fünf verschiedenen Beiträgen vertreten war, ein Dosier „Land ohne Glauben“ anfertigen. Es ist wirklich sehr interessant, zu lesen, was da über den Osten der Republik berichtet wird, auch über dessen Spiritualität:
„Die Bindung an eine Kirche muss nicht zwangsläufig mit Spiritualität und bestimmten Glaubensvorstellungen einhergehen. Stellt man jedoch im Osten und im Westen die Frage nach der grundsätzlichen Wichtigkeit des Glaubens, halten es beide Seiten sehr unterschiedlich mit der Religion und mit persönlichen Fragen des Glaubens. So sagen zwei Drittel aller Ostdeutschen, dass ihnen Religion und Kirche nicht wichtig sind, im Westen nur ein Drittel.
Dieser Unterschied ist zwischen Ost- und Westdeutschen seit der
Wiedervereinigung etwa konstant geblieben. Die Wichtigkeit von Kirche und Religion ist auf beiden Seiten gleichmäßig zurückgegangen. Die Unterschiede zeigen sich auch, wenn Ostdeutsche und Westdeutsche ihre Religiosität
selbst einschätzen sollen. Im Osten halten sich zwei Drittel nicht für religiös, im Westen wieder nur ein Drittel.
Bei der Einschätzung der eigenen Spiritualität ist dieser Unterschied
weniger stark ausgeprägt, wobei sich die Ostdeutschen auch hier seltener für spirituell halten. Sie haben aber auch weniger spirituelle Erfahrungen.
Das deutet darauf hin, dass ein bestimmtes religiöses/spirituelles Umfeld erst zu Religiosität/Spiritualität führt, sich die Dinge gewissermaßen gegenseitig bedingen.“
So groß scheint mein Fehler in der Sache dann wohl doch nicht gewesen zu sein.
2. Weltanschauung und Religion sind Gegensätze
Bei dem zweiten ist das anders. Weltanschauung und Religion waren für mich immer Gegensätze. Das sehe ich inzwischen völlig anders. Religion ist nur eine Sonderform der Weltanschauung. Um zu dem Ergebnis zu kommen reicht es, unter der großen Überschrift „Weltanschauung“ einfach zwei Kategorien anzulegen: theistische und atheistische Weltanschauungen. Unter die eine kommen dann alle mit Göttern, unter die andere alle ohne. Die hat es schon immer gegeben, angefangen von frühen östlichen Formen wie dem Janismus, dem Buddhismus und Daoismus über westliche, wie den Sophismus, den Epikurismus und die Stoa bis zum heutigen evolutionären Humanismus.
Ändern wir also einfach die Systematik. Das hätte zwei große Vorteile. Einmal würde noch klarer, Atheismus ist, genau wie Theismus, lediglich eine Kategorie und keine eigene Weltanschauung und zweitens bräuchten wir in allen Gesetzen Religion nur durch Weltanschauung ersetzen und hätten so eine umfassende Gleichstellung.
3. Humanisten sind automatisch für eine Trennung von Kirche und Staat
Meinen dritten großen Fehler habe ich zuletzt erkannt. Ich war immer der Meinung, Humanist zu sein bedeutet auch, für einen weltanschaulich neutralen Staat zu sein. Ohne diesen ist es nicht möglich, eine offene Gesellschaft wie wir sie teilweise schon haben, zu erreichen und zu erhalten.
Der weltanschaulich neutrale Staat, so dachte ich, muss deshalb oberstes Ziel sein. In einem solchen Staat darf es keine weltanschaulichen Privilegien geben, weder theistische noch atheistische.
Irgendwie stimmen dem auch fast alle Humanisten zu. Aber manche ihrer Organisationen wollen doch, um gleichberechtigt zu sein, Kirchenprivilegien auch für sich nutzen. Irgendwie machen wir das ja auch, wenn wir für eine Kopfbedeckung im Ausweis oder Nudelmessenhinweisschilder am Straßenrand kämpfen. Aber uns ist klar, auf dem Weg „Privilegien für alle“ lässt sich niemals wahre Gleichberechtigung erreichen. Wir wollen die deshalb nur, um zu zeigen, wie absurd sie sind.
Andere machen das um des wirtschaftlichen Vorteils willen und betonen, natürlich nur so lange, wie auch die Kirchen noch vom Staat alimentiert werden. Das ist zunächst verständlich, aber letztlich nur glaubhaft, wenn man sich nicht von diesen wirtschaftlichen Vorteilen abhängig macht und nicht etwas aufbaut, was sich ohne sie nicht mehr halten lässt.
Wer abhängig geworden ist, wird sich irgendwann für die Beibehaltung der Privilegien stark machen. Es ist kein schönes Bild, dass ich da vor mir sehe: Kirchen und ein Teil der Humanisten gegen den Rest der Humanisten.
Aber ich bin ein alter Mann und verstehe vielleicht einfach die heutige Welt nicht mehr. Deshalb bin ich froh, dass in unserer Kirche nun der Generationenwechsel vollzogen wird. Mit neuen Kräften und mit neuen Ideen werden wir weiter die alten Ziele verfolgen.
Wir werden weiter zeigen, wie schädlich sich Religion auf die Gesellschaft auswirkt, wir werden ihr weiter den Respekt nehmen, den
manche ihr noch zubilligen, wir werden weiter konsequent für die Trennung von Staat und Weltanschauung eintreten, wir werden weiter den evolutionären Humanismus verbreiten und wir werden das weiter mit großer Fröhlichkeit, Spaß und Lust am Feiern tun.
Und wer von euch dabei sein möchte, ist herzlich eingeladen.