Jedes kleine Kind spricht irgendwann das erste Wort. Meist ist dieses Wort noch nicht astrein ausgesprochen, aber die Eltern oder Geschwister verstehen es. Später wird dann im Familienkreise gern zum Besten gegeben, welches Wort es war und wie es sich in Babysprache anhörte.
Fraukes erste zwei Worte waren „fick dich“. Sie erfuhr das nicht von ihren Eltern. Die älteren Brüder zogen sie regelmäßig damit auf, aber eher wegen der putzigen Babysprache. Ansonsten war „fick dich“ wohl der am meisten gebrauchte Spruch in Fraukes Familie.
Schon mit zwei Jahren kannte sie mehr Schimpfworte, als es normalerweise üblich ist bei Kleinkindern. Nicht nur zwischen den Eltern herrschte ein rauer und oft sehr ordinärer Ton, auch die Brüder beherrschten dieses Metier hervorragend. Als Frauke in den Kindergarten kam, begriff sie schnell, dass ihr Jargon
bei den Erzieherinnen nicht besonders beliebt war. Die anderen Kinder jedoch hingen an Fraukes Lippen, weil sie Worte zu hören bekamen, die neu waren und die bei den Erwachsenen außergewöhnliche Reaktionen erzeugten. Das war spannend, führte aber bei den meisten Eltern zu einem strikten Spielverbot mit
dem Nachplappermaul. So geriet Frauke schnell ins Abseits.
Da sie jedoch ein überdurchschnittlich kluges Mädchen war, merkte sie bald, welche Worte tabu waren und vermied diese. Sie begann zwischen der Welt zu Hause und der in der Tageseinrichtung zu trennen. Als die Einschulung bevor stand, waren die Erzieher mit Frauke sehr zufrieden.
Die ersten Schultage verliefen gut. Sie fand neue Freundinnen in ihrer Klasse, freute sich darauf, lesen zu lernen und hatte große Freude am Rechnen. Trotzdem wurde sie von fast allen Lehrern ausgegrenzt. „Guck an, Frauke Hämmerling?! Hast du nicht Brüder in der 8., 6. und 4. Klasse? Na, eigentlich müssten die ja alle schon eine Klasse weiter sein?!“ So und ähnlich wurde sie von den Lehrern begrüßt. Den Demütigungen folgte Nichtachtung. Stammt man aus einer Familie, in der die älteren Geschwister weder intelligent noch besonders fleißig sind und obendrein sehr ordinär, dann muss man ähnlich drauf sein. Mit so einem Vorurteil schon in den ersten Schulmonaten kann man eigentlich nur einpacken. Fürs Selbstbewusstsein war das nicht förderlich.
Frauke hatte jedoch Glück im Unglück. Frau Schmidt, ihre Klassenlehrerin, war unvoreingenommen. Sie erkannte die gute Auffassungsgabe des
Mädchens und förderte sie von Anfang an. Dankbar sah Frauke in ihrer Klassenlehrerin bald eine Art Ersatzmutter. Die Lehrerin kannte die familiären Verhältnisse ihrer Schülerin und kümmerte sich daher mehr um Frauke, als sie es eigentlich musste. Nach der Schule ging die Kleine gern bei den Schmidts vorbei. Die lebten so ganz anders als ihre Familie. Schmidts Kinder Mina und Ludger behandelten Frauke, wie andere Spielkameraden auch. Das machte vieles wett, was die alltäglich von ihren Klassenkameraden zu hören bekam. Bei der Familie fühlte sie sich pudelwohl. Dort tankte Sie Kraft und wurde
selbstbewusster.
Mit dem Älterwerden kam der Wechsel in eine andere Schule. Auch wenn Frauke ihre Eltern doch immer noch gern hatte, die Schmidts blieben ihr wichtigster Anlaufpunkt. Sie empfand sie als ihr Rettungsanker bei stürmischem Seegang. Den Vergleich mochte Frau Schmidt, da Anker und Seegang wie Pasta und Fleischbällchen zu ihr gehörten. Warum, erfuhr Frauke erst, als sie zufällig das Evangelium des Fliegenden Spaghettimonsters in einem Bücherregal entdeckte.
Sie sprach ihre Ersatzmutter darauf an und was sie hörte, lies sie staunen. Mit Religion konnte sie gar nichts anfangen. Dazu war sie einfach zu klug und durchschaute das, was ihr da im Schulunterricht vermittelt wurde, schnell. Davon sollte sich einlullen lassen, wer wollte. Sie nicht!
Weil sie aber ihre Lehrerin immer sehr bewunderte und das, was sie von ihr gehört hatte, doch etwas neugierig gemacht hat, borgte sie sich das Evangelium und las es von Anfang bis Ende. Sie fand vieles, woran sie ihren Spaß hatte. Auch von der Grundidee des Pastafaritums, an allem zu zweifeln, war Frauke angetan. Das hatte so gar nichts mit dem Einlullen anderer Religionen zu tun.
Sie diskutierte über das Gelesene noch einige Male mit den Schmidts, denn da war die ganze Familie so nudlig drauf. Bald dachte sie aber nicht mehr daran, denn sie ging in eine andere Stadt, um zu studieren. Viele neue Eindrücke strömten jetzt auf die neue Studentin ein. Zum ersten Mal fühlte sie sich frei, denn hier kannte keiner sie und die Zeit der Vorurteile schien vorbei. Niemand kannte ja ihre Vergangenheit. Dass sie selbst die einmal preis geben würde,
wäre ihr nicht im Traum eingefallen.
Wie das kam, wollt ihr wissen? Das hat mit dem Pastafaritum zu tun und mit der Liebe. Paul, ein Student, der drei Semester mehr auf dem Buckel hatte, fand Gefallen an Frauke. Er diskutierte gern mit ihr, bewunderte ihre Klugheit, ihr tadelloses Benehmen und so manches mehr. Schließlich war er über beide Ohren in sie verknallt. Er nutzte jede Gelegenheit, mit ihr zusammen zu sein, lockte sie zu dieser und jener abendlichen Veranstaltung und so landeten beide
irgendwann auch bei einem Pastafaritreffen. Sofort dachte Frauke an ihre Lehrerin und erzählte Paul und den anderen, dass sie das Evangelium bereits gelesen hatte. Lange Rede, kurzer Sinn, als das Treffen vorbei war, gab es zwei Pastafari mehr.
Einen Monat später trafen sich die Pastafari erneut. Sie wollten den „Sprich-Wie-Ein-Pirat-Tag“ vorbereiten. Ausgemacht war ein Treffen im Studentenclub, wo alle sich im Fluchen und Schimpfen, wie es nur Piraten tun, üben konnten. Dieser Abend sollte einfach nur Spaß bringen. Alle freuten sich, mal so richtig wilde Sprüche ablassen zu können. Paul überlegte schon Tage zuvor, wie so ein wilder Piratenhaufen wohl gesprochen haben mochte. Er wunderte sich, dass die sonst so fröhliche Frauke sich so wenig von seiner Vorfreude anstecken ließ.
Als der Abend kam, zogen beide ihr Piratenornat an und stiefelten los. Im Club angekommen, wurden sie zünftig begrüßt. Paul hielt nicht hinter dem Berg und warf massenweise derbe Sprüche in die Runde. Ein Gejohle und Geschrei setzte ein. Das eine oder andere Bierchen machte die Zungen der Piraten zusehens lockerer. Alle, außer Frauke, hatten großen Spaß. Das fiel auf und man versuchte, sie ebenfalls dazu zu bringen, wie eine Piratin zu sprechen. Keiner konnte wissen , wie sehr sie viele Jahre darunter gelitten hatte, ständig ordinäre Aussprüche hören zu müssen. Den so verhassten Namen „Fittis“ (ihr erinnert euch, die Babysprache?!) benutzten die Brüder noch heute, wenn sie Frauke meinten. Woher sollten die anderen wissen, wie schwer es für sie war, da heraus zu kommen und das alles zu vergessen. Nun, da Frauke glaubte, diesem Sumpf für immer entstiegen zu sein, sollte sie erneut ein Fußbad nehmen. Das wollte sie nicht.
Aber die leicht angeheiterte Truppe bedrängte sie immer mehr, mit zu fluchen.
Erst war sie traurig, dann wütend, bis sie richtig überkochte. Ein Schwall von Schimpfwörtern der allerübelsten Sorte brach aus ihr heraus. Frauke konnte nicht mehr aufhören und wurde ungewollt zur Piratin des Abends, denn sie übertraf alles bisher Gehörte. Den anderen Piraten klappten die Unterkiefer herunter. Sie erhielt bewundernde Blicke, dann verständnisloses Starren, denn Frauke weinte hemmungslos.
Paul nahm das Häuflein Elend in den Arm und brachte sie nach Hause. Aufgewühlt, wie sie war, erzählte sie Paul aus ihrer Kindheit und er verstand. Er überlegte noch, wie er sie trösten könnte, aber schon saß Frauke kerzengerade vor ihm und lächelte ihn an. „Das hätte ich schon viel eher mal tun sollen“ meinte sie. Durch diesen Ausbruch war es ihr gelungen, über Jahre Angestautes heraus zu schreien. Sie fühlte sich erleichtert und wusste auf einmal, dass
die Vergangenheit jetzt wirklich abgeschlossen war. Die inzwischen stolze Piratin des Tages überredete Paul, noch einmal mit ihr in den Club zu gehen. Sie wolle auch den anderen Pastafari erzählen, was ihre Tränen bedeuteten.
Als dann am 19. September tatsächlich der „Sprich wie ein Pirat Tag“ gefeiert wurde, war das eine Party, von der noch lange im Club erzählt wurde. So einen
ausgelassenen, wüst fluchenden aber durchweg netten Haufen hatte man dort noch nie erlebt. Paul und Frauke klebten zusammen wie Pech und Schwefel und waren das Zentrum der Truppe.
Die traf sich von nun an immer wieder. Natürlich auch, als die beiden genau ein Jahr später zur pastafarianischen Hochzeit einluden.
Das Brautpaar strahlte um die Wette und genoss seinen besonderen Tag. Sie fluchten wie die Rohrspatzen, es war eine wahre Freude.
Auch heute noch hauen Sie gern raue Sprüche in die Menge, aber nur am „Sprich-Wie-Ein-Pirat-Tag“ und nur zum Spaß.