Vielleicht, liebe Brüder und Schwestern, geht es euch da ja genau so wie mir. Da behauptet einer was und man tut es mit einem leichten Lächeln ab. Dann behauptet ein anderer das Gleiche, und man ist fassungslos.
Zwei solche Paradebehauptungen sind für mich:
„Aber die Kirchen tun doch so viel Gutes“ und
„Spiritualität ist ein tief in uns angelegtes Bedürfnis“.
Kommen solche Behauptungen von Gläubigen, stört mich das nicht. Jeder soll seinen Aberglauben leben, wie er will, so lange er damit nicht die Interessen anderer verletzt.
Kommen die von Humanisten, zum Teil sogar von organisierten, habe ich kein Verständnis.
Ersteres lässt sich doch relativ leicht ad absurdum führen. Ja, Kirchen tun auch Gutes (auch, nicht so viel..), aber mit unseren Geldern. Caritas und Diakonie, die beiden größten Sozialkonzerne der Welt, geben gerade mal rund 2% an Eigenmitteln aus. Der Rest sind Spenden und, vor allem, Zuwendungen der öffentlichen Hand.
Außerdem tun sie auch eine Menge Schlechtes. Sie indoktrinieren, sie betreiben Lobbyismus in einem Ausmaß, dass selbst die Autoindustrie neidisch wird, sie beeinflussen Gesetze (z.B. Sterbehilfe, Geburtenregelung, Präimplantationsdiagnostik u.a.) im Sinne ihres Aberglaubens und sie setzen Dogmen, die die freie gesellschaftliche Entwicklung behindern.
Letzteres trifft übrigens auf fast alle Religionen zu. Weshalb nicht nur Kirchen, sondern auch Religion selbst gesellschaftsschädlich wirkt.
Zweiterem lässt sich schon schwerer begegnen. Das liegt auch mit daran, dass jeder unter Spiritualität etwas anderes versteht. Für die einen ist es zwingend mit Aberglauben verbunden, für andere geht es eher in die esoterische Richtung und sogar Humanisten haben eine für sich entdeckt: die atheistische Spiritualität.
Schon allein, weil dieses Wort doch hochgradig abergläubig belastet ist, sollten die es doch vermeiden. Dann aber auch noch zu behaupten, Spiritualität wäre angeboren, schlägt dem Fass den Boden aus.
Um das von der angeborenen Spiritualität zu widerlegen, reicht eigentlich ein Beispiel aus, ein Mensch, der die nicht hat. Es sei denn man unterstellt dem, krank oder unvollständig zu sein.
Ich selbst bin so einer und ich kenne eine Menge anderer, denen es ähnlich geht. In meinem großen Freundeskreis im Osten Deutschlands kann ich mich nicht erinnern, dass Spiritualität jemals ein Thema war.
Natürlich haben auch wir ganz besondere, herausgehobene Momente in denen wir uns ganz ohne Drogen high fühlen. Ich kann mich ganz genau an eins erinnern. Wir hatten im Rückspiegel gesehen, dass hinter den Bergen gerade die Sonne auf ging und das Auto angehalten, um zu fotografieren. Die Wiesen waren klatschnass vom Tau, die Sonne drückte langsam den leichten Nebel aus dem Tal hoch und mit ihm kam ein unbeschreiblich schöner Blütengeruch. Da war ich tief ergriffen. Aber ich wäre nie darauf gekommen, diesen wunderschönen Moment als spirituellen zu bezeichen. Warum auch? So wie hier ist es doch viel klarer.
Apropos Osten Deutschlands.
Immer wieder staune ich, wieso der nie als Gegenbeleg für die angeblich angeborene Spiritualität oder sogar Religiosität genommen wird. Alle waren sich sicher, mit dem Fall der Mauer beginnt auch hier wieder der große Vormarsch der Religion und der Kirchen.
Nichts ist. Der Anteil der Konfessionslosen steigt prozentual immer mehr. Trotz drei massiver Evangelisierungskampagnen.
Sind wir Ossis alle krank? Wurden wir durch Chemtrails genverändert?
Oder sind wir einfach, wie dieser Artikel vermuten lässt, um Massen intelligenter als andere?
Die ARD-Themenwoche „Was glaubst du“ hat nicht nur fünf Sendungen über uns mit insgesamt mehr als 26 min, sondern auch ein Datendossier „Land ohne Glauben“ gebracht.
Das macht Hoffnung für Gesamtdeutschland, denn unter „Glauben und Werte“ wird festgestellt:
„…ähnlich zum Anstieg der Konfessionslosigkeit und zum Schwinden der Religiosität nährt sich der Westen Deutschlands bei vielen die gesellschaftlichen Werte betreffenden Aspekten dem Osten an“
Selbst dort, wo es zunächst scheint, fehlende Kirchenbindung sei von Nachteil, z.B. bei der Ausprägung von Toleranz, kommt man letztlich zum Ergebnis:
„Die vorangegangenen Daten weisen im Ost-West-Vergleich auf einen Zusammenhang zwischen Intoleranz und fehlender kirchlicher Bindung hin.
Vergleicht man sie mit den deutschlandweiten Ergebnissen der Mitte-Studien entsteht allerdings ein vielschichtiges Bild. So zeigen die Forscher, dass gerade kirchlich Gebundene stärker ausländerfeindliche, antisemitische und chauvinistische Einstellungen als Konfessionslose aufweisen. Diese fremdenfeindlichen Einstellungen wurden demnach am häufigsten bei Katholiken festgestellt. Auch Protestanten sind etwas häufiger Befürworter solcher rechtsextremen Positionen als Konfessionslose, allerdings seltener als Katholiken“
Vor allem aber wird auch endlich einmal der Osten als Beispiel für die Behauptungen angeborener Religiosität bzw. Spiritualität herangezogen.
Es scheint so, also wäre ich doch weder krank noch unvollständig:
„Die Bindung an eine Kirche muss nicht zwangsläufig mit Spiritualität und bestimmten Glaubensvorstellungen einhergehen. Stellt man jedoch im Osten und im Westen die Frage nach der grundsätzlichen Wichtigkeit des Glaubens, halten es beide Seiten sehr unterschiedlich mit der Religion und mit persönlichen Fragen des Glaubens. So sagen zwei Drittel aller Ostdeutschen, dass ihnen Religion und Kirche nicht wichtig sind, im Westen nur ein Drittel. Dieser Unterschied ist zwischen Ost- und Westdeutschen seit der
Wiedervereinigung etwa konstant geblieben. Die Wichtigkeit von Kirche und Religion ist auf beiden Seiten gleichmäßig zurückgegangen. Die Unterschiede zeigen sich auch, wenn Ostdeutsche und Westdeutsche ihre Religiosität
selbst einschätzen sollen. Im Osten halten sich zwei Drittel nicht für religiös, im Westen wieder nur ein Drittel.
Bei der Einschätzung der eigenen Spiritualität ist dieser Unterschied
weniger stark ausgeprägt, wobei sich die Ostdeutschen auch hier seltener für spirituell halten. Sie haben aber auch weniger spirituelle Erfahrungen.
Das deutet darauf hin, dass ein bestimmtes religiöses/spirituelles Umfeld erst zu Religiosität/Spiritualität führt, sich die Dinge gewissermaßen gegenseitig bedingen.“
Na bitte, geht doch.